03 Arch.

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Michael habe ich bereits am ersten Tag des Studiums kennengelernt. Unser für Außenstehende endlos wirkendes Gespräch über Architektur begann damals ohne jegliche Ankündigung. Michael erzählte von der letzten Reise nach Frankreich und dann ging es über gotische Kirchen zur HFG in Ulm, von Max Bill bis zu Domenikus Böhm. Wir hatten uns bereits beim Erstsemestertreffen gefunden.

Das geistige Klima in Süddeutschland war zu dieser Zeit dominiert von Günther Behnisch und seinen Epigonen. Oswald Matthias Ungers, Joseph Kleihues und die Diskussionen der IBA 87 in Berlin schienen endlos weit entfernt. In unserer Studienzeit an der TU München fehlten die prägenden Lehrer. Die Fakultät war gerade im Umbruch und die letzten Heroen der Nachkriegsmoderne wie Fred Angerer gaben nach und nach ihre Lehrtätigkeit auf. Den Bruch mit der Moderne hatten sie noch nicht vollzogen. Ihre Zeit war vorbei, ihre Projekte — einige ihrer Großsiedlungen — hatten einen schlechten Ruf und sie wirkten auf uns wie gefallene Engel. Trotzdem stand die Fakultät in der Tradition der Münchner Schule von Sep Ruf und Gustav Hassenpflug und verteidigte unbeirrt die Ideale der Nachkriegsmoderne.

Die Bauten unseres Lehrers Uwe Kiessler, seine Liebe zum Detail, die Ehrlichkeit der Konstruktion, ebenso die systematische Wohnungsbaulehre von Hermann Schröder waren für uns sicherlich prägend. Allerdings konnten uns ihre Vorstellungen zur Stadt nie überzeugen. Mit Norbert Huse und Winfried Nerdinger hatten wir zwei hervorragende Erzähler, die für uns den Raum der Kunst- und Architekturgeschichte öffneten. Sie halfen uns einen differenzierten Blick auf die Stadt zu bekommen, die verschiedenen Zeitschichten und städtebaulichen Leitbilder zu erkennen.

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Die Architekturauffassung unserer Lehrer, den Entwurf aus dem Detail heraus systematisch zu entwickeln, und unsere Vorstellung von Stadt blieben im Studium ein dauerhafter Konflikt. Wir spürten eine Absenz an Vorbildern. Es fühlte sich an wie ein stetig zunehmendes Vakuum. Mit der Zeit füllten eigene Bilder und Entdeckungen diesen Raum und es entstand eine heterogene Sammlung von Referenzen. Bis heute hat sich kein Kanon herausgebildet. Er verändert sich mit jedem Entwurf und jeder hat seinen eigenen Zugang. So gleicht unser Referenzraum eher dem prismatischen Bild eines sich immer wieder drehenden Kaleidoskops.

Später entdeckten wir außerhalb der Fakultät die Architektur von Hans Kollhoff und Roger Diener. Gerade die Entwürfe von Diener und Diener mit ihren komplexen städtebaulichen Dispositionen waren für uns nicht einfach zu lesen. Aber wir spürten, dass sie sich mit den Themen auseinandersetzten, die auch uns beschäftigten. Hier wurde Architektur und Städtebau als Einheit gedacht. Präzise Details, eine kongruente Gebäudestruktur und die städtebauliche Konzeption haben sich nicht ausgeschlossen, sondern wurden als komplexe Raumfiguren Teil der bestehenden Stadt.

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Mit unserem Diplom zum Olympischen Dorf von 1936 am Rand von Berlin gewannen wir den Schinkelpreis. Die Preisträger*innen wurden zu einem städtebaulichen Wettbewerb für dieses Areal eingeladen. So aufgefordert, haben wir gleich nach dem Studium unseren ersten Wettbewerb gestartet. In diese Zeit fiel ein weiterer kleiner städtebaulicher Wettbewerb, den wir ebenfalls bearbeiteten: Bamberg Wunderburg, den wir tatsächlich gewonnen haben. Ohne unsere Expertise zu hinterfragen, wurden wir als junge Absolventen gleich für den Bebauungsplan beauftragt. So hatten wir ungeplant und unverhofft auf einmal ein eigenes Büro.

Die Namensfindung war anfänglich wie bei den meisten kompliziert. Less is more: 02 München, ein Büro, zwei Partner, es war die kürzeste Form. Wir wollten uns nicht festlegen lassen, offenbleiben: kein Programm, kein Statement, keine Signatur mit unseren Familiennamen. Unsere Haltung war schon damals klar. Sie erwuchs zunächst aus der Ablehnung der patriarchalen Autorenarchitektur der frühen Postmoderne. Wir spürten, dass der gemeinsame offene Entwurfsprozess an sich eine Qualität darstellt. Entwerfen war und blieb bis heute für uns eine dialektische Auseinandersetzung mit den Bedingungen.

Das Büro startete in der Osterwaldstraße. In der Wohnung oben im elften Stockwerk eines 1970er-Jahre-Hochhauses herrschte eher die Atmosphäre eines offenen Studios. Je nach Wettbewerb kamen und gingen Freunde und Freundinnen, unterstützten uns ehemalige Kommilitonen und Kommilitoninnen. Wettbewerbe wurden gewonnen, andere verloren. Wenn es gut lief, teilten wir das Preisgeld und bestellten den nächsten. Bereits sehr früh beim Städtebau für Mainz Layenhof ist Karin zu uns gestoßen. Ihr Interesse für die Wohnbaudetails in den Grundrissentwürfen war sofort spürbar. Aus 02 München wurde 03. Der konzeptionelle Name hatte sich zumindest fürs Erste bewährt.

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Mit den ersten gewonnenen Hochbauprojekten änderte sich die Arbeitsatmosphäre. Keiner von uns hatte Erfahrung im Bauen, keiner von uns hatte lange als Projektarchitekt*in in einem anderen Büro gearbeitet. In den Wettbewerben hatten wir mittlerweile unsere Expertise, beherrschten Form und Aussage. Die Einfachheit der Entwürfe, ihre konzeptionellen Ansätze überzeugten die Jurys. Mit dem Bauen begann alles von vorne. Im Grunde waren dies unsere wirklichen Lehrjahre. Mit der Panzerwiese in München und der Nackstraße in Mainz waren es gleich zwei größere Wohnungsbauten. Beide Projekte waren geförderter Wohnungsbau und hatten einen harten Kostenrahmen. Beide Entwürfe fügten sich selbstbewusst in den jeweiligen Stadtkontext ein und formulierten so präzise neue Stadträume.

Mit der Werkplanung kamen Versicherungen, wurden Gesellschaftsformen angepasst, Verträge geschlossen und Mitarbeitende angestellt. Die Offenheit der ersten Jahre schien schnell verloren zu gehen. Die Arbeitsprozesse waren nicht mehr rein diskursiv. Farben, Materialien mussten bemustert werden, Entscheidungen am Werkplan und auf der Baustelle gefällt werden. Aber es eröffneten sich auch neue Perspektiven. Zu erleben, wie die Häuser nach und nach wuchsen, sich die gedachten Raumfolgen zuerst im Rohbau abzeichneten, die Stadträume konkret wurden und die Gebäude sich in die Stadt einfügten, sind bis heute wichtige Erfahrungen für unsere Arbeit. Dabei ist es immer wieder eine stille Freude zu beobachten, wie sich die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wohnungen aneignen, sie möblieren und individuell gestalten. Mit den Menschen in den Gassen und auf den Plätzen verändert sich der Raum und entfernt sich allmählich aus unserem Gedankengerüst.

Es war unsere sorgfältige Lesart des Münchner Stadtraums, unser Interesse am Städtebau Leo von Klenzes und Theodor Fischers, die zu größeren städtebaulichen Wettbewerbserfolgen wie am Ostbahnhof oder an der Welfenstraße führten. Erste Kollegen wie Andreas Meck und Dieter Fink waren schon früh auf uns aufmerksam geworden und unterstützten uns. Langsam etablierte sich das Büro in München.

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Arndt Jagenlauf, Marc Hofmann und Jessica Bauer brachten Ruhe und Sicherheit in die Projekte. Mit der Erfahrung aus den ersten Bauprojekten und unserem gewachsenen städtebaulichen Wissen gewannen wir innerhalb kurzer Zeit eine Reihe wichtiger Wettbewerbe. Die neue Bürostruktur brachte uns unsere Souveränität zurück und wir wirkten wie befreit. Während Alexander Knoop mit uns an den Wettbewerben arbeitete, wurden plötzlich wieder alle erarbeiteten Sicherheiten hinterfragt. Die Diskussionen im Büro waren auf einmal wieder lebendig, aber auch die Wettbewerbsbeiträge waren nicht selten eindeutige Statements und stellten die Jurys immer wieder auf die Probe.

Gleichzeitig hatten wir an der Welfenstraße unser erstes Hochbauprojekt in unserem eigenen Städtebau. Der große städtische Block sollte von unterschiedlichen Architekturhandschriften gestaltet werden. Andreas Hild, Stefan Forster, Peter Ebner und wir teilten uns die Aufgabe ein. In der produktiven Auseinandersetzung mussten wir schnell von unseren älteren Kolleg*innen lernen. Am Ende ging es darum, sie einzubinden in eine Gesamtfigur, ohne dabei die individuelle Qualität der Architektur zu verlieren. Der Dialog unter Architektinnen und Architekten ist nicht immer ein einfacher Prozess und unsere Vorstellung des kollektiven Entwerfens lässt sich nicht einfach nach außen übertragen. Städtebau ist immer eine Gemeinschaftsaufgabe und erst im Zusammenspiel der Disziplinen zwischen Verkehrsplanung, Landschaftsarchitektur und Architektur, der spielerischen Konfrontation verschiedenster Charaktere kann es gelingen. Aber es bleibt bei jedem neuen Entwurf mit jedem neuen Teilnehmenden eine stetige Herausforderung.

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Durch die Größe des Büros und mit der Zeit etablierte sich eine neue Bürostruktur. Unser Handwerk wurde verfeinert, gleichzeitig zirkulierte unterschiedlichstes Fachwissen in unserem Büro. Die Komplexität nahm zu und unsere Arbeitsweise professionalisierte sich. Mit Bernd Kuchenbeiser haben wir einen Partner gefunden, der ähnlich offen in die Entwurfsarbeit einsteigt. In unseren ersten Diskussionen rund um eine CI für unser Büro wurde schnell deutlich, dass es uns nicht um Außendarstellung geht. Wir suchten Kommunikationsmittel, um unseren internen diskursiven Arbeitsstil zu optimieren und die Inhalte besser nach außen transportieren zu können.

Es war ein langer Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist. In dieser Zeit haben wir alle unsere Medien hinterfragt. Plangrafik, Layout, die Bildproduktion unserer Renderings mit ihrem Bildaufbau, der Aussage und dem Stil wurden auf ihren Ausdruck hin geprüft. Nicht zuletzt suchten wir auch eine Form der Fotografie, die unsere städtebaulichen Projekte sinnvoll dokumentierte.

Mit dem Schweizer Fotografen Walter Mair entstand sofort ein interessanter Dialog. Die Architektur wird in seinen großformatigen Bildern zu einem Teil der Stadt. Wie miteinander verwachsen sind die Gebäude Teil des städtischen Alltags. Sie werden nicht zu ausgestellten Artefakten stilisiert, sondern ruhen im Hintergrund für das Leben selbst und werden zu einem Teil einer gelebten Kultur. Teile der Diskussion von damals haben wir in den Papers 01 und 02 – kleine Lesehefte, die wir veröffentlicht haben – festgehalten.
Innerhalb dieses Prozesses hat Bernd ebenso sehr früh unseren Namen 03 München kritisch hinterfragt. Auch wenn wir uns stilistisch nicht festlegen lassen wollten, keine klar erkennbaren Vorlieben für bestimmte Materialien oder Farben, keine individuelle Handschrift erkennbar waren, so hatte das Büro doch einen Arbeitsstil, eine klare Haltung und war mit seiner Position Teil der Architekturszene. Auf unsere eigene Art sind wir zur Marke geworden und zusammen mit Bernd haben wir sie mit dem zeichenhaften 03 Arch. neu definiert. Sie bezeichnete noch weniger und wurde zum Namen für unser sich weiter veränderndes Büro.

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Ausstellungen wie „Könnte München sein“ in der Architekturgalerie mit den Bildern nicht gebauter Entwürfe von München oder die Jubiläumsausstellungen zu den Münchner Parks anlässlich der IBA mit den gelben Boxen erhöhten unsere Sichtbarkeit. Inzwischen waren wir in der Situation, dass wir in München zunehmend vom architektonischen Diskurs wahrgenommen wurden. Unsere Vorträge zu München, die Interviewreihe mit den alten Meistern von Otto Meitinger, Alfred Angerer, Uwe Kiessler bis zu Christoph Sattler waren für uns, aber auch für die Architekturszene wichtig. Höhepunkt war dabei sicherlich das Gespräch in der Architekturgalerie mit Hans-Jochen Vogel zu seiner Zeit als Oberbürgermeister in München. Aber erst mit unserem Entwurf, einem der ersten Preise für die Werkbundsiedlung in München, spürten wir auf einmal, was es bedeutet, von Kolleg*innen, Architekturstudierenden, von Kritiker*innen und Jurymitgliedern, sprich: von der Architekturszene, beurteilt zu werden. Die heftige Kritik an unserem Entwurf, die gekippte Wahrnehmung von uns als Konkurrenz waren wichtig. Erst dann wird man als Teil des Diskurses akzeptiert.

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Für den Architekturdiskurs spielen unsere Bauherr*innen und die Menschen, die unsere Gebäude bewohnen, keine Rolle. Wir wissen das und müssen es auch wissen, wenn wir gute Architekt*innen sein wollen. Und dennoch bereitet uns diese Situation ein Unbehagen. Für ein Fachpublikum zu bauen, stellt das Selbstverständnis in Frage, mit dem wir an unsere Entwurfsarbeit herangehen. Wir begreifen uns nicht als Expert*innen für technische oder ästhetische Fragen. Wir planen für unsere Bauherr*innen und die Menschen, die später in den Gebäuden wohnen. Wir denken uns in ihre Bedürfnisse hinein. Uns interessiert immer auch die ethische Dimension architektonischen Entwerfens: Häuser und Städte zu bauen, in denen Menschen ein gutes Leben führen können. Dazu müssen wir immer wieder Mittel und Wege finden, um unsere Gespräche und Gedanken aus einer selbstreferenziellen Fachdiskussion zu befreien. Gleichzeitig wissen wir auch um die große Freiheit, die wir für unsere tägliche Arbeit gewinnen, indem wir uns in unserem weitgehend abgeschlossenen Architekturzirkel bewegen. Müssten wir davon ausgehen, dass alle unsere Vorschläge und Entwürfe von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, wären wir mit einer Verantwortung belastet, die unserer Arbeit jegliche Innovationskraft nehmen würde. Wären wir gezwungen, in allen Phasen eines Projekts kompromissbereit und politisch klug zu agieren, wäre ein präzises und in sich schlüssiges Entwerfen nicht denkbar.

Während unserer Entwurfsarbeit müssen wir uns befreien, ob und wie relevant unsere Arbeiten sind. Der geschützte Diskursraum im Büro, die fachliche Auseinandersetzung unter uns, bleiben die Grundlage für konzises und langfristig angelegtes Arbeiten an der Architektur. Aus diesem Grund ist es für uns wichtig, immer wieder unsere Büro- und Arbeitsstruktur anzupassen. Es bleibt ein immerwährender Widerspruch. Wir suchen Routinen, die uns die Stabilität gegenüber den Anforderungen des Alltags geben, damit wir auf der anderen Seite Freiräume, Freiräume zum Denken, zum Hinterfragen all jener Konventionen und Routinen haben, die wir zum Teil selbst erstellt haben.

Text von Andreas Garkisch und Alexander Knoop