Hochhausstudie München 2023
Die Schönheit der Stadt ist ein Teil des Erfolgs von München. Das Stadtbild ist wesentlich für das Lebensgefühl und die Lebensqualität. Diese Schönheit ist erstaunlich, liegt München doch nicht, wie die internationalen Konkurrenten Sydney und Rio de Janeiro, am Meer. Auch die Topografie der Stadt ist nicht wirklich spektakulär. Münchens Schönheit basiert auf seiner einzigartigen Stadtarchitektur. Sämtliche Stadtbilder, von der Altstadt mit ihrer historischen Silhouette, dem Nymphenburger Schloss mit seinem wunderschönen Park bis hin zu den königlichen Prachtstraßen und dem Englischen Garten wurden entworfen. Sie sind das Ergebnis architektonischer, landschaftsarchitektonischer und städtebaulicher Konzepte. Dies ist nicht außergewöhnlich für eine Residenzstadt, schließlich konnte man mit der königlichen Macht die jeweiligen städtebaulichen Vorstellungen ideal umsetzen. Die Besonderheit Münchens ist, dass diese Tradition, den Stadt- und Freiraum städtebaulich zu inszenieren, auch später vom Bürgertum weitergeführt wurde. Interessant ist, wie selbstverständlich auch zu dieser Zeit Gebäude, Stadtraum und Freiraum als Teile einer städtebaulichen Inszenierung betrachtet wurden.
München versteht sich nicht als Hochhausstadt. Das Stadtbild definiert sich nicht über eine Hochhaus-Skyline, wie zum Beispiel in Frankfurt. Dieses Prinzip gilt weiterhin. Und doch sind Hochhäuser schon heute ein wichtiger Bestandteil des Stadtkörpers und des Stadtbilds. Das Stadtbild besteht aus zahlreichen Facetten, vom kleinteiligen ehemaligen Dorfkern, den anonym wirkenden Gewerbe- und Wohnquartieren, bis zu den hervorragenden städtebaulichen und landschaftsarchitektonischen Ensembles. Die Schönheit der Stadt entsteht aus der Qualität dieser gebauten Bilder, die im Stadtkörper nebeneinander bestehen und gemeinsam, als kollektives Gedächtnis, das Stadtbild Münchens ergeben.
Die Studie bezieht sich auf diese besonderen städtebaulichen Qualitäten und möchte sie weiter schärfen, um gleichzeitig das Spezifische zu unterstützen und den Stadtkörper weiterzuentwickeln. Hochhäuser werden dabei als selbstverständlicher Teil der Stadt verstanden. Die städtebauliche Begründung eines Hochhausprojektes, die Angemessenheit der Proportion in Bezug auf die Umgebung, der städtebauliche und architektonische Ausdruck und der Beitrag zur Nutzungsvielfalt der Umgebung sind essenzielle Eigenschaften eines Hochhauses als integraler Bestandteil der Stadt. München besitzt bereits eine gut eingeführte Hochhausstudie, die 1977 von Detlef Schreiber erstellt und 1995 als zweiteiliges Werk von ihm und dem Lehrstuhl von Prof. Ferdinand Stracke fortgeschrieben wurde. Die nun vorliegende Studie nutzt die Kenntnisse der vorhergehenden Hochhausstudien, basiert jedoch auf einem eigenen konzeptionellen Ansatz, der nicht nur strategisch Verdichtungsräume markiert, sondern auch den gebauten, sinnlich wahrnehmbaren Stadtraum und das Stadtbild wieder in den Fokus der Betrachtung rückt. Ein städtebauliches Grundverständnis bildet die Grundlage der Bearbeitung:
Das Stadtbild gehört allen – Das Stadtbild, und als Teil dessen die Stadtsilhouette, sind ein Allgemeingut. Hochhäuser, als vertikales Element im Städtebau, beanspruchen in einer Stadt wie München immer eine erhöhte Aufmerksamkeit und sind Teil der öffentlichen Silhouette. Hochhausvorhaben haben deshalb eine besondere Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit.
Der öffentliche Raum ist das Wesentliche – Die europäische Stadt definiert sich über den öffentlichen, für jeden zugänglichen Stadtraum und vertritt damit immer die öffentlichen Interessen. Hochhäuser müssen daher zwingend im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum gedacht werden.
Stadt ist nicht planbar, aber gestaltbar – Das Stadtbild entwickelt sich iterativ. Eine Vordefinition von parzellenscharfen Hochhausstandorten kann es in München nicht geben. Die präzise städtebauliche Setzung von Hochhäusern ist Teil des Stadtgestaltungsprozesses.
Unser Stadtbild ist ein Kaleidoskop von Bildern – Das Stadtbild ist ein wichtiger Teil des kollektiven Gedächtnisses. In ihm lagern, neben erlebbaren Bildern, unsere Wertvorstellungen und Sehnsüchte. Um sich diese bewusst machen zu können, müssen die Bilder lesbar bleiben. Die Setzung von Hochhäusern soll die bestehende Stadtstruktur unterstützen, diese schärfen und weiterentwickeln.
Hochhäuser sind ein städtebauliches Gestaltungsmittel – Hochhäuser können z.B. zur Klärung der Stadtstruktur, als Orientierungspunkt, Vermittlung städtebaulicher Maßstäbe, Schaffung von Zentralität und Konzentrierung von Dichte zugunsten von Freiflächen eingesetzt werden.
Hochhäuser sind ein alltäglicher Teil der Stadt – Bereits heute gibt es in München eine große Zahl an Hochhäusern, die als selbstverständlicher Teil der Stadt wahrgenommen werden. Gut in die jeweilige Stadtstruktur eingebunden, können Hochhäuser mit einer hohen städtebaulichen und architektonischen Qualität eine deutliche Bereicherung für die Stadt und deren Silhouette sein. Dabei stärken wiederkehrende Typologien und die Lesbarkeit von Hochhäusern in allen Maßstabsebenen die Akzeptanz.
Hochhäuser sind in München immer ein besonderer Bautyp – Im grundsätzlich horizontal angelegten Stadtkörper Münchens dominieren Straßenfluchten mit durchgehenden Traufen das Stadtbild. Jede Vertikale wirkt in diesem Grundriss wie ein Akzent. Selbst mehrgeschossige Erker oder Gebäudeecken können den Raum deutlich gliedern.
Die Angemessenheit der Höhe ist ausschlaggebend – Hochhäuser müssen immer im Verhältnis zum Kontext entwickelt werden. Nur so können sie als gliederndes Element innerhalb der Stadtstruktur wirken. Nicht jede Stadtstruktur ist für Hochhäuser geeignet, oft genügt ein vertikaler Akzent.
Hochhäuser sind ein Mittel zur Urbanisierung – In dezentralen Zentren können Hochhäuser als identitätsstiftender Baustein fungieren und entscheidend zu einer positiven Entwicklung beitragen.
Hochhäuser nicht zum Selbstzweck – Es geht nicht um die Selbstdarstellung privaten Kapitals, sondern um einen Rahmen, in dem Architektur einen adäquaten Ausdruck für die Bedeutung des Ortes und des Programms finden muss. Nicht jeder Ort eignet sich für eine profilüberragende Bebauung.
Qualität entsteht durch klare Regeln – Nur in einem transparenten und von der Stadtgesellschaft mitgetragenen Prozess ist es möglich, dass Hochhäuser von hoher städtebaulicher und architektonischer Qualität sowie einem gesellschaftlichen Mehrwert entstehen, und nachhaltig und klimagerecht umgesetzt werden können. Die Qualitätssicherung erfolgt in einem auf den jeweiligen Standort bezogenen, mehrstufigen Planungs- und Entscheidungsprozess.
Qualität entsteht durch Konkurrenz – Architekturqualität entsteht am besten im ergebnisoffenen Wettstreit konkurrierender Ideen. Nur ein Projekt mit einer klaren und nachvollziehbaren entwerferischen Haltung zur stadträumlichen Einbindung, dem architektonischen Ausdruck und zum Nutzungsprogramm kann eine adäquate Antwort auf den Ort und die Verantwortung des Gebäudes gegenüber der Allgemeinheit liefern.
Nach wie vor sind Hochhäuser kein Gebäudetyp, der in der Stadtgesellschaft als selbstverständliches städtebauliches Gestaltungsmittel verankert ist. Dass bereits einige Hochhäuser, wie das BMW Hochhaus, als Wahrzeichen Teil des Stadtbildes sind, wird oft übersehen. München ist eine städtebaulich sorgfältig gedachte Stadt, die in weiten Teilen eine hervorragende Stadtarchitektur mit besonderen Stadt- und Freiräumen hat. Die Stadt besitzt im Wesentlichen eine gefestigte städtebauliche Struktur, wodurch die Hochhaustypologie nie die dominante Rolle wie in anderen Städten einnehmen wird. Die städtebaulichen Möglichkeiten jedoch, mit Hochhäusern Stadträume zu gestalten, sie durch die Zeichenhaftigkeit besser lesbar zu machen und sie als Maßstabsvermittler zwischen den großen Infrastrukturbauten und der gebauten Stadtstruktur zu nutzen, sollten bewusst offengehalten werden.
Die Hochhausstudie 2023 steht in der Kontinuität der „Münchner Linie“, das heißt, für einen Ausgleich zwischen dem Bewahren des traditionellen Stadtbilds und der Förderung von zeitgemäßem Bauen an geeigneten Standorten. Die Debatte um Hochhäuser soll versachlicht werden.
Dazu entwickelt die Studie eine neue Methodik zur Beurteilung von Hochhausprojekten, indem sie Möglichkeitsräume aufzeigt und die Planung von Hochhäusern mit konkreten Anforderungen und Qualitätskriterien verknüpft. Es werden keine Standorte für Hochpunkte mit exakt genannter Höhe definiert. Vielmehr ist die Studie als Choreografie zu verstehen, die einen Rahmen bildet, jedoch in der Anwendung auch Interpretationen zulässt. Sie definiert weder ein „Muss“ zur Anordnung von Hochhäusern, noch ist sie ein „Freifahrtschein“ im Sinne einer unreflektierten Legitimation. Vielmehr gibt die Studie entscheidende Hinweise, in welchen Bereichen ein sinnfälliges Potenzial für eine städtebauliche Gestaltung mithilfe von Hochhäusern und profilüberragenden Gebäuden besteht.
Mit ihren textlichen und kartografischen Grundlagen, den Höhenstufen, dem Räumlichen Leitplan, den Qualitätskriterien und dem Planungsprozess hält sie Werkzeuge bereit, um die Standortabwägung für Hochhäuser zu unterstützen und den gesellschaftlichen Anspruch sowie die notwendigen Planungsschritte für Hochhausvorhaben aufzuzeigen.
Ergänzende Fachgutachten, die „Sichtraumstudie München“ (EISENLAUER Architektur & Stadtplanung, 2022), sowie im Zuge der Welterbe-Bewerbung die „Städtebauliche Untersuchung Olympiapark München“ (RHA Reicher Haase Assoziierte GmbH, 2022) vertiefen Aspekte der Hochhausstudie und wurden mit ihren Kernaussagen in das Gesamtwerk integriert.
Die Hochhausstudie 2023 folgt einer dezidierten städtebaulichen Haltung und einem räumlichen Bild, welches der Relation zum Umfeld, den städtebaulichen Gegebenheiten, dem Bedeutungsraum und den historischen und kollektiv erlebten Bezügen Rechnung trägt. Ein besonderer Fokus wird auf die maßstäbliche Weiterentwicklung des Stadtkörpers gelegt. Hochhäuser, die in einem gut proportionierten Verhältnis zur Umgebung stehen und in die Stadtstruktur eingebunden sind, entwickeln sich somit zu einem selbstverständlichen Bautypus. Gleichzeitig wird dem Schutz der bekannten Stadtbilder, den „Postkarten-Ansichten“, wie z.B. der Altstadtsilhouette, dem Englischen Garten, dem Nymphenburger Park und den Isarauen ein hoher Stellenwert beigemessen. Die tradierte Silhouette, vor allem der Altstadt, muss auch künftig vor dem Hintergrund der Alpenkulisse ihre Wirkung entfalten können.
Entsprechend der maßstäblichen Betrachtung sind Hochhäuser überwiegend im Kontext bereits vorhandener, großmaßstäblicher Strukturen und an großen Infrastrukturräumen wie Bahngleisen und Stadtautobahnen denkbar. Gleichzeitig können besondere Stellen im Stadtraum markiert werden. Ähnlich wie im Hochhausplan Sörgels von 1925 ergibt sich ein Bild, in dem die Stadtstruktur Münchens mit seinen Ringen, Ausfallstraßen und bedeutenden Infrastrukturachsen nachgezeichnet wird. Die möglichen Entwicklungsräume orientieren sich an diesem Bild der Radialen- und Ringstrukturen, wobei die mögliche Höhenentwicklung im Norden stärker und im Süden schwächer ausgeprägt ist.
Darüber hinaus unterstreicht die Studie die hohe gestalterische und gesellschaftliche Verantwortung, die mit Hochhäusern einhergeht. Durch ihre besondere Stellung müssen Sie einen positiven Beitrag für ihr Umfeld und die Stadtgesellschaft leisten und angemessen in den Stadtraum wie auch das vorhandene Nutzungsgefüge eingebunden werden. Mit den Qualitätskriterien werden diese Anforderungen beschrieben und es wird ein einheitlicher Qualitätsmaßstab für die Beurteilung von Hochhausvorhaben in München gesetzt. Es wird erstmals ein verbindlicher Katalog von Anforderungen (Städtebau, Architektur, Gesellschaftlicher Mehrwert sowie Klima und Nachhaltigkeit) an neue Hochhäuser definiert. Planer*innen, Projektentwickler*innen, Öffentlichkeit und Politik sollen dadurch für die städtebaulichen und architektonischen Besonderheiten von Hochhäusern in München sensibilisiert und der hohe Anspruch an Hochhausvorhaben verdeutlicht werden. Die Anwendung der Qualitätskriterien trägt entscheidend dazu bei, dass Hochhäuser ein lesbarer, harmonisch integrierter Teil der Stadt München und ihres Stadtbildes werden.
Durch den konsequenten, analytischen Aufbau der Studie und die Auseinandersetzung mit dem bestehenden Stadtbild wird gesichert, dass es um eine Fortschreibung des von uns allen so geschätzten Bildes von München geht. Dabei sind Umweltschutz, Klimawandel, neue Mobilitäts-, Wohn- und Arbeitsmodelle, der wesentlich dichtere und komplexere Stadtraum sowie der Schutz des baukulturellen Erbes dringliche Herausforderungen der heutigen Zeit. Um am Gesamtbild weiterzubauen, müssen wir wieder mutig stadträumliche Vorstellungen entwickeln, die eine Zukunft aufzeigen. Hochhäuser unterschiedlicher Höhenstufen können als besonderer Gebäudetypus dabei einen wertvollen Beitrag leisten. Oberstes Ziel muss ein qualitätsvoll fortgeschriebenes Stadtbild sein, das auf allen Maßstabsebenen stadträumlich hervorragende Lösungen erzeugt: von der Stadtsilhouette, der städtebaulichen Setzung und Positionierung, der Fassade bis zur Ausbildung der architektonischen Übergänge vom öffentlichen Raum und Haus. Jeder dieser Punkte sollte beim Hochhaus, als herausragende Bauwerke, höchsten Qualitätsansprüchen gerecht werden.
Die Hochhausstudie München 2023 ist ein anwendungsorientiertes Fachgutachten und wurde im Auftrag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München und in enger Abstimmung mit diesem erstellt. Die Fachstellen Denkmalschutz und Freiraumplanung wurden in der Diskussion beteiligt. Ein Entwurf der Hochhausstudie wurde im Februar 2020 dem Stadtrat vorgestellt. Es folgte ein umfangreicher Informations- und Beteiligungsprozess. Die vorliegende Fassung nutzt die gewonnenen Erkenntnisse und integriert sie in das Gesamtwerk.