Entwurf der Hochhausstudie München
Die Schönheit der Stadt ist ein Teil des Erfolgs von München. Das Stadtbild ist wesentlich für das Lebensgefühl und die Lebensqualität. Diese Schönheit ist erstaunlich, liegt München doch nicht, wie die internationalen Konkurrenten Sydney und Rio de Janeiro, am Meer. Auch die Topografie der Stadt ist nicht wirklich spektakulär. Münchens Schönheit basiert auf seiner einzigartigen Stadtarchitektur. Sämtliche Stadtbilder, von der Altstadt mit ihrer historischen Silhouette, dem Nymphenburger Schloss mit seinem wunderschönen Park bis hin zu den königlichen Prachtstraßen und dem Englischen Garten wurden entworfen. Sie sind das Ergebnis architektonischer, landschaftsarchitektonischer und städtebaulicher Entwürfe. Dies ist nicht außergewöhnlich für eine Residenzstadt, schließlich konnte man mit der königlichen Macht die jeweiligen städtebaulichen Vorstellungen auch umsetzen. Die Besonderheit Münchens ist, dass diese Tradition, den Stadt- und Freiraum
städtebaulich zu inszenieren, auch später vom Bürgertum weitergeführt wurde. Interessant ist, wie selbstverständlich auch zu dieser Zeit Gebäude, Stadtraum und Freiraum als Teile einer städtebaulichen Inszenierung betrachtet wurden.
München ist keine Hochhausstadt. Es gibt weder eine Downtown, noch eine alles beherrschende Hochhaussilhouette wie in Frankfurt. Der Stadtkörper ist flach und in seiner Ausdehnung sind viele Teile für das Stadtbild unbedeutend. Und doch sind Hochhäuser bereits heute ein wichtiger Bestandteil. Das Stadtbild besteht aus zahlreichen Facetten, vom kleinteiligen ehemaligen Dorfkern, den anonym wirkenden Gewerbe- und Wohnquartieren, bis zu den hervorragenden städtebaulichen und landschaftsarchitektonischen Ensembles. Die Schönheit der Stadt entsteht aus der Qualität dieser gebauten Bilder, die im Stadtkörper nebeneinander bestehen und gemeinsam, als kollektives Gedächtnis, das Stadtbild Münchens ergeben.
Die Studie bezieht sich auf diese besonderen städtebaulichen Qualitäten und möchte sie weiter schärfen, um gleichzeitig das Spezifische zu unterstützen und den Stadtkörper weiterzuentwickeln. Hochhäuser werden dabei als selbstverständlicher Teil der Stadt verstanden. Die städtebauliche Begründung eines Hochhausprojektes, die Angemessenheit der Proportion in Bezug auf die Umgebung, der städtebauliche und architektonische Ausdruck und der Beitrag zur Nutzungsvielfalt der Umgebung sind essenzielle Eigenschaften eines Hochhauses als integraler Bestandteil der Stadt. München besitzt bereits eine gut eingeführte Hochhausstudie, die 1977 von Detlef Schreiber erstellt und 1995 als zweiteiliges Werk von ihm und dem Lehrstuhl von Prof. Ferdinand Stracke fortgeschrieben wurde. Die Studie nutzt die Kenntnisse der vorhergehenden Hochhausstudien, basiert jedoch auf einem eigenen konzeptionellen Ansatz, der nicht nur strategisch Verdichtungsräume markiert, sondern auch den gebauten, sinnlich wahrnehmbaren Stadtraum und das Stadtbild wieder in den Fokus der Betrachtung rückt. Ein städtebauliches Grundverständnis bildet die Grundlage der Bearbeitung.
Jede Stadt verändert sich fortlaufend - Durch ein stetiges Bevölkerungswachstum, Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur sowie fortschreitende Entwicklungen im Mobilitäts-, Wohn- und Arbeitsverhalten ist München einem kontinuierlichen Wandel unterworfen. Hinzu kommen drängende Anforderungen an eine klimagerechte, nachhaltige Stadt. Eine Stadt muss den sich ändernden Bedingungen gewachsen sein, um seinen Bewohner*innen, Unternehmen und Besucher*innen ein attraktives Umfeld bieten zu können. Es muss daher auch immer eine bauliche Weiterentwicklung der Stadt und, damit untrennbar verbunden, des Bildes der Stadt geben können. Hochhäuser, als urbane Gebäudetypologie und wichtiges städtebauliches Gestaltungsmittel, sind ein möglicher Bestandteil dieser Weiterentwicklung.
Das Stadtbild gehört allen - Das Stadtbild, und als Teil dessen die Stadtsilhouette, sind ein Allgemeingut. Hochhäuser, als vertikales Element im Städtebau, beanspruchen in einer Stadt wie München immer eine erhöhte Aufmerksamkeit und sind Teil der öffentlichen Silhouette. Hochhausvorhaben haben deshalb eine besondere Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit.
Der öffentliche Raum ist das Wesentliche der europäische Stadt - Er definiert sich über den für jeden zugänglichen Stadtraum und vertritt damit immer die öffentlichen Interessen. Hochhäuser müssen immer im Zusammenhang mit dem öffentlichen Raum gedacht werden.
Stadt ist nicht planbar, aber gestaltbar - Das Stadtbild entwickelt sich iterativ. Eine Vordefinition von parzellenscharfen Hochhausstandorten kann es in München nicht geben. Die präzise städtebauliche Setzung von Hochhäusern ist Teil des Stadtgestaltungsprozesses.
Unser Stadtbild ist ein Kaleidoskop von Bildern - Das Stadtbild ist ein wichtiger Teil des kollektiven Gedächtnisses. In ihm lagern, neben erlebbaren Bildern, unsere Wertvorstellungen und Sehnsüchte. Um sie sich bewusst machen zu können, müssen die Bilder lesbar bleiben. Die Setzung von Hochhäusern soll die bestehende Stadtstruktur unterstützen, diese schärfen und weiterentwickeln.
Nicht jedes Hochhaus ist ein Zeichen - München ist eine städtebaulich sorgfältig gedachte Stadt, die in einigen Teilen eine hervorragende Stadtarchitektur in besonderen Stadt- und Freiräumen hat. Die Stadt ist in wesentlichen Teilen substanziell gefestigt, wodurch die Hochhaustypologie nie die dominante Rolle wie in anderen Städten spielen wird. Hochhäuser müssen daher immer im Verhältnis zum Kontext entwickelt werden. Nur so können sie als gliederndes Element innerhalb der Stadtstruktur wirken und diese bereichern. Nicht jede Stadtstruktur ist für Hochhäuser geeignet, oft genügt ein vertikaler Akzent. Dabei stärken wiederkehrende Typologien und die Lesbarkeit von Hochhäusern in allen Maßstabsebenen die Akzeptanz.
Nach wie vor sind Hochhäuser kein Gebäudetyp, der in der Stadtgesellschaft als selbstverständliches städtebauliches Gestaltungsmittel verankert ist. Dass bereits einige Hochhäuser, wie das BMW Hochhaus, als Wahrzeichen Teil des Stadtbildes sind, wird oft übersehen.
Kontinuität der Münchner Linie - Der Entwurf der Hochhausstudie steht in der Kontinuität der „Münchner Linie“, das heißt für einen Ausgleich zwischen dem Bewahren des traditionellen Stadtbilds und der Förderung von zeitgemäßem Bauen an geeigneten Stadtorten. Die Debatte um Hochhäuser soll versachlicht werden.
Dazu entwickelt die Studie eine neue Methodik zur Beurteilung von Hochhausprojekten, indem sie Möglichkeitsräume aufzeigt und die Planung von Hochhäusern mit konkreten Anforderungen und Qualitätskriterien verknüpft. Es werden keine Standorte für Hochpunkte mit exakt genannter Höhe definiert. Vielmehr ist die Studie als Choreografie zu verstehen, die einen Rahmen bildet, jedoch in der Anwendung auch Interpretationen zulässt. Sie definiert weder ein „Muss“ zur Anordnung von Hochhäusern, noch ist sie ein „Freifahrtschein“ im Sinne einer unreflektierten Legitimation. Vielmehr gibt die Studie entscheidende Hinweise, in welchen Bereichen ein sinnfälliges Potenzial für eine städtebauliche Gestaltung mithilfe von Hochhäusern und profilüberragenden Gebäuden besteht.
Mit ihren textlichen und kartografischen Grundlagen, der Höhenkategorisierung, dem Zonenplan, den Qualitätskriterien und dem Planungsprozess hält sie Werkzeuge bereit, um die Standortabwägung für Hochhäuser zu unterstützen und den gesellschaftlichen Anspruch sowie die notwendigen Planungsschritte für Hochhausvorhaben aufzuzeigen. Dabei folgt die Studie einer dezidierten städtebaulichen Haltung und einem räumlichen Bild, welches der Relation zum Umfeld, den städtebaulichen Gegebenheiten, dem Bedeutungsraum und den historischen und kollektiv erlebten Bezügen Rechnung trägt. Ähnlich wie im Hochhausplan Sörgels von 1925 ergibt sich ein Bild, in dem die Stadtstruktur Münchens mit seinen Ringen, Ausfallstraßen und bedeutenden Infrastrukturachsen nachgezeichnet wird. Langfristig könnten hohe Häuser diese übergeordneten Erschließungsräume punktuell markieren. Die möglichen Entwicklungsräume orientieren sich an diesem Bild der Radialen- und Ringstrukturen, wobei die mögliche Höhenentwicklung im Norden stärker und im Süden schwächer ausgeprägt ist.
Durch den konsequenten, analytischen Aufbau der Studie und die Auseinandersetzung mit dem bestehenden Stadtbild wird gesichert, dass es um eine Fortschreibung des von uns allen so geschätzten Bildes von München geht. Dabei sind Umweltschutz, neue Mobilitäts-, Wohn- und Arbeitsmodelle, der wesentlich dichtere und komplexere Stadtraum, sowie der Schutz des baukulturellen Erbes dringliche Herausforderungen der heutigen Zeit. Um am Gesamtbild weiterzubauen, müssen wir wieder mutige stadträumliche Vorstellungen entwickeln, die eine Zukunft aufzeigen. Hochhäuser unterschiedlicher Höhenkategorien können als besonderer Gebäudetypus dabei einen wertvollen Beitrag leisten. Oberstes Ziel muss ein qualitätsvoll fortgeschriebenes Stadtbild sein, das auf allen Maßstabsebenen stadträumlich hervorragende Lösungen erzeugt: von der Stadtsilhouette, der städtebaulichen Setzung und Positionierung, der Fassade bis zur Ausbildung der architektonischen Übergänge vom öffentlichen Raum und Haus. Jeder dieser Punkte sollte beim Hochhaus, als herausragende Bauwerke, höchsten Qualitätsansprüchen gerecht werden.
Der Entwurf zur Hochhausstudie München ist ein anwendungsorientiertes Fachgutachten und wurde im Auftrag des Referats für Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt München und in enger Abstimmung mit diesem erstellt. Die Fachstellen Denkmalschutz und Freiraumplanung wurden in der Diskussion beteiligt. Der Entwurf der Hochhausstudie wurde im Februar 2020 dem Stadtrat vorgestellt. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung wurde dabei mit einem Informations- und Beteiligungsprozess und einer Überarbeitung des Entwurfs mit den daraus gewonnenen Erkenntnissen beauftragt.
Auszug aus dem Fachgutachten Hochhausstudie München von 03 Arch., Entwurf Januar 2020